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Aktenkunde: Praktische Geschäftsganganalyse

Dieser Abschnitt dient dazu, die bislang erläuterten Instrumente der Aktenkunde praktisch anzuwenden und zu einer echten Rekonstruktion eines Geschäftsablaufs innerhalb einer Behörde zu kommen.

Dazu wird zunächst erläutert, wie die Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls bei einer Behörde geregelt war, was mit Geschäftsgang gemeint ist und welche Regelungen die Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien enthielt. Zugleich werden einige Hilfsmittel kurz vorgestellt, die bei der Rekonstruktion eines Geschäftsgangs zu Rate gezogen werden können.

Im zweiten Schritt werden Geschäftsganganalysen vorgestellt, die chronologisch Schritt für Schritt Funktionen und Urheber der verschiedenen Bearbeitungsspuren aufzulösen versuchen. Dies geschieht anhand von drei Beispielen, wobei die ersten beiden Beispiele jeweils einzelne Schriftstücke behandeln, das dritte aber einen umfangreicheren Vorgang:

1. Beispiel: Schreiben der Reichskanzlei an das Reichsfinanzministerium wegen des Ernennungsverfahrens von Beamten (April 1943).

2. Beispiel: Schreiben der litauischen Besatzungsverwaltung an die dortige SS/Polizei wegen einer Aktion zur Partisanenbekämpfung (Jan. 1944).

3. Beispiel: Schreiben Himmlers an Gauleiter Greiser vom 5. Nov. 1941 über den Regierungspräsidenten Uebelhoer.

4. Beispiel (ausstehend): Vorgang über die Entscheidung zum Verfügungsrecht über freiwerdende Judenwohnungen in Wien (März-Mai 1942).

Der Geschäftsgang

In Behörden gelten und galten mehr oder weniger eindeutige Regelungen für die Bearbeitung einer Sache, für Zuständigkeiten und Geschäftsabläufe. Die wesentliche Grundlage für die in diesem Kurs besprochenen Dokumente bildeten die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO I) von 1927.

Der folgende Vortrag bietet eine Einführung in die Geschäftsabläufe einer Behörde bei der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls und beantwortet Fragen wie: Was ist mit Geschäftsgang gemeint? Was ist die Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien, in welchem Kontext entstand sie und welche Regelungen enthält sie? Welche Stiftfarben sind in einer Behörde von wem zu verwenden? Außerdem werden einige Hilfsmittel und Verzeichnisse wie etwa Geschäftsverteilungspläne oder Organigramme vorgestellt, die bei der Rekonstruktion eines Geschäftsgangs helfen können. Allerdings findet hier nur eine kurze Vorstellung der verschiedenen Dokumente statt; darüberhinausgehende Ausführungen und die Dokumente zum Runterladen finden sich im sich anschließenden Kapitel 2c) Aktenkunde: Hilfsmittel.

Wie gewohnt finden Sie den Vortrag einmal als Video mit Ton sowie einmal als PDF-Folien ohne Ton.

-> Film-Version Geschäftsgang

 

-> PDF-Version Geschäftsgang

 

1. Beispiel: Schreiben der Reichskanzlei an das Reichsfinanzministerium wegen des Ernennungsverfahrens von Beamten (April 1943).

Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers (1879-1962), schickte dem Reichsminister der Finanzen, Johann Ludwig/Lutz Graf Schwerin von Krosigk (1887-1977), am 18. April 1943 eine Stellungnahme des Reichsinnenministeriums zur diskutierten Änderung beim Ernennungsverfahren von Ministerialräten und anderen Spitzenbeamten. Da das bisherige Verfahren in § 18 der Geschäftsordnung der Reichsregierung festgelegt war, machten die Vorschläge eine Änderung daran erforderlich (BArch R 2/4480, Bl. 27).

Das Dokument verdeutlicht recht gut die zentrale koordinierende Position der Reichskanzlei in allen Verwaltungsabläufen der Regierung in der NS-Zeit. Die inhaltlichen Regelungen spielen in diesem Fall aber keine Rolle: Das Schriftstück wurde als Beispiel ausgewählt, weil sich an ihm der typische Geschäftsgang im Reichsfinanzministerium sehr anschaulich zeigen lässt.

-> Link zur Präsentation mit dem Geschäftsgang von BArch R 2/4480, Bl. 27

 

2. Beispiel: Schreiben der litauischen Besatzungsverwaltung an die dortige SS/Polizei wegen einer Aktion zur Partisanenbekämpfung (Jan. 1944).

Schreiben des Generalkommissars für Litauen in Kauen/Kowno, Dr. Adrian von Renteln, an den SS- und Polizeiführer Litauen, SS-Brigadeführer Harm, vom 28. Januar 1944, in der er um eine militärische Großaktion der Partisanenbekämpfung zur Befriedigung der Region ersucht (BArch R 6/360, Bl. 17).

-> Link zur Präsentation mit dem Geschäftsgang von BArch R 2/4480, Bl. 27

 

3. Beispiel: Schreiben Himmlers an Gauleiter Greiser vom 5. Nov. 1941 über den Regierungspräsidenten Uebelhoer.

Schreiben Himmlers an Gauleiter Greiser vom 5. Nov. 1941 über den Regierungspräsidenten Uebelhoer, nachdem er dessen engagierten Versuch, die Einweisung weiterer Juden aus dem Reich ins Getto Litzmannstadt mit Hinweis auf die Überfüllung und die Notwendigkeit zur Produktion kriegswichtiger Güter zu verhindern, unmissverständlich abgewiesen hatte.

-> Link zur Präsentation mit dem Geschäftsgang von BArch NS 19/2655, Bl. 50

 

4. Beispiel: Vorgang über die Entscheidung zum Verfügungsrecht über freiwerdende Judenwohnungen in Wien (März-Mai 1942).

Bei diesem Beispiel handelt es sich erstmals um einen ganzen Vorgang, der interpretiert werden soll. Inhaltlich geht es um die Verfügungsgewalt über die durch die Deportation der Bewohner freiwerdenden ehemals jüdischen Wohnungen in Wien im Frühjahr 1942 (BArch R 2/9173, Bl. 2-8). Grundsätzlich war die Finanzverwaltung, in diesem Fall demnach der Oberfinanzpräsident in Wien, für die Verwertung der eingezogenen jüdischen Besitztümer einschließlich der Wohnungen zuständig, doch der Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, versuchte unter Hinweis auf die große Wohnungsnot in der Stadt, dieses Recht für sich zu beanspruchen.

-> Link zur Präsentation mit dem Geschäftsgang von BArch R 2/9173, Bl. 2-8